Ist meine Zeit mehr wert als die Deine?

Wie bemessen wir den Wert von Arbeit? Wir tendieren dazu zu sagen: an ihrem Ergebnis. Aber ist die Arbeit eines Chirurgen nichts mehr wert, wenn der Patient die OP nicht überlebt? Und wie steht’s mit den Brücken, die nach 30 Jahren aus Risikogründen geschlossen werden müssen. Muss dann der Architekt sein Honorar zurückzahlen? Nein natürlich nicht, der Wert des Ergebnisses kann es nicht sein, denn dann würden bei Fußballspielern ja nur die geschossenen bzw. verhinderten Tore zählen und die anderen Spieler gingen leer aus (oder würden vielleicht nach ihrer Laufleistung bezahlt).

Die Verhandlungsposition macht den Lohn

Im Lohn spiegelt sich also keinesfalls die Wertschätzung für das geleistete Arbeitsergebnis. Viel deutet darauf hin, dass es hauptsächlich die Verhandlungsposition ist, die den Wert von Arbeit bestimmt. Ein armer Schlucker, der froh sein kann, überhaupt einen Job zu bekommen, muss sich mit dem Mindestlohn zufriedengeben. Mehr oder weniger klar steht im Raum: „Wenn’s Ihnen nicht passt – es gibt tausend andere.“ Ein akademischer Berufsanfänger verdient verhältnismäßig wenig, obwohl er vielleicht manchen Kollegen an Wissen und Fähigkeiten überlegen ist. Weil der Kranführer eine Fachausbildung hat und damit eine bessere Verhandlungsposition als der schwer schufende Hilfsarbeiter, verdient er deutlich mehr – sein Leben lang. Tatsächlich sitzt er aber manche Stunde untätig in seiner windgeschützten Kabine und liest Groschenromane.

Arbeit ist investierte Lebenszeit

Verhandlungspositionen haben viel mit Macht zu tun, mit Startbedingungen, Vitamin B und der Vorspiegelung falscher Tatsachen und nur wenig mit Können. Ein System, das auf einem undurchschaubaren Gemenge aus Macht, alten Konventionen und unreflektierten Bewertungen beruht, wird immer ungerecht sein müssen und zum Beispiel der Lebensarbeit einer Mutter nie gerecht werden können. Mütter haben nun einmal keine Lobby; Künstler ebenso wenig. Und nicht umsonst wird das Familienministerium in den politischen Verhandlungen minderbewertet. Fakt ist aber, dass mancher Manager oder Star das Tausendfache eines Arbeiters verdient. Aber ist sein Leben, ist seine investierte Lebenszeit das Tausendfache wert? Ist sie überhaupt mehr wert? Ist nicht jede Ihrer Lebensstunden ebenso viel wert wie die meine und umgekehrt?

Echte Wertschätzung ist Friedensleistung

Würde die eingesetzte Lebenszeit wertgeschätzt und zum Wertmaßstab für die Entlohnung von Arbeit, dann würden unsere Lebens- und Arbeitswelt rasch sehr viel friedlicher und freundlicher werden. Und entspricht es nicht unserem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden, dass eine Toilettenfrau eigentlich mehr für ihre Arbeit bekommen sollte als die Empfangssekretärin der gleichen Firma, die durch Vitamin B zu ihrem Job gekommen ist? Wertschätzung für Arbeit müsste sich wohl aus zwei humanen Faktoren ableiten: aus verbrachter Lebenszeit und zu bewältigendem Stress.

Bio – die verratene Idee

Irgendwann hatte ich mich gefreut, dass Bio in einer EU-Norm Gesetz geworden war. Endlich, dachte ich, hat die Idee ihren europaweiten Durchbruch geschafft. Übersehen hatte ich, dass Gesetze den Geist einer Idee zu Paragraphen verknöchern. Und den ursprünglichen Geist angreifbar, ja missbrauchbar machen. Denn natürlich kann sich alles, das sich an den Buchstaben des Gesetzes hält, auch auf dessen ursprünglichen Geist berufen – ohne ihm auch nur nahe zu sein. Warum also sollte das bei Bio anders sein?!

Ein solcher Effekt ist ja schon schlimm genug, wird uns aber dennoch als „Verbraucherschutz“ verkauft. Doch damit nicht genug. Ist eine Firma groß und clever genug, den Buchstaben des Gesetzes zu entsprechen und zugleich seine Lücken zu nutzen, darf sie uns dennoch mit dem „Bio-Label“ an der Nase herumführen. Wie aber, wenn die Strafen bei Missbrauch nicht effektiv genug sind und nur lässig kontrolliert wird. Dann lohnt sich sogar der Gesetzesbruch. Bio-Eier dürfen zum doppelten Preis verkauft werden. Wer dann nur alle paar Jahre erwischt wird, der zahlt sein Bußgeld vermutlich aus der Portokasse.

In Sachen Eier gilt konsequenterweise: Bio-Eier nur noch Bauern kaufen, die sich von Anbauverbänden wie Bioland, Demeter oder Naturland zusätzlich kontrollieren lassen.